Das Überall-Netz (SZ v. 09.01.2018)

Wer mal einen ehrlich ernüchterten Gesichtsausdruck begutachten will, der sollte mit seinem acht Jahre alten Sohn den zweiten Teil der Zurück-in-die-Zukunft-Filme gucken. Für ihn findet die komplette Handlung in der Vergangenheit statt, auch die 1989-Vision vom Jahr 2015. Er hält den Film für gelungen, seine Desillusionierung begründet er damit, dass er die gegenwärtige Realität im Vergleich zur Film-Vision ein bisschen öde findet. Klar, er besitzt eine Kinder-Smartwatch, er kann über das Computerspiel Minecraft mit Freunden im Ausland chatten und mit dem Smartphone seiner Mutter Pokémons fangen. Aber wo sind die fliegenden Autos? Die selbstschnürenden Schuhe? Die, und da ist er als Skater doch arg enttäuscht: Wo sind Hoverboards, die diesen Namen auch verdient haben?

Die schwebenden Skateboards sind ein brauchbarer Platzhalter für viele Dinge, über die in den kommenden Tagen auf der Technologiemesse CES in Las Vegas debattiert werden wird: Es gibt Andeutungen unfassbar cooler Produkte, sie sollen Leute begeistern und – ach, verwenden wir ruhig eine typische Technik-Floskel – die Welt verbessern. Das Motto der CES in diesem Jahr ist „Whoa“, die angepriesenen Produkte sollen also möglichst viele erstaunt-begeisterte Ausrufe provozieren. Allerdings ist es oft so wie mit den sogenannten Hoverboards: Die leuchten zwar, aber sie schweben nicht. Sie rollen. Einige brennen, wenn die Batterie überhitzt. Das ist, nun ja, ernüchternd.

Wer die Technikmesse schon ein paar Mal besucht hat und nun bei der Ankunft am Flughafen die CES-Banner betrachtet, der bemerkt, dass die Schlagworte mal wieder die gleichen sind: Virtual Reality, künstliche Intelligenz und Smart Home waren schon im vergangenen Jahr die großen Themen. In Technikjahren gerechnet gilt 2017 allerdings als kurz nach der Steinzeit. Von tragbaren Fitnessgeräten, medizinischen Armbändern und Drohnen sprachen die Leute bereits vor zwei Jahren, von selbstfahrenden Autos quasi in der Eisenzeit.

„Wir können nun alles mit allem verbinden, damit man effizienter durch den Tag kommt.“

Es ist deshalb interessant, mal darüber nachzudenken, wie ein acht Jahre alter Junge in 30 Jahren auf diese 51. CES und die auf knapp 300 000 Quadratmetern präsentierten Visionen zurückblicken wird. Präsentieren die knapp 4000 Aussteller Lösungen für real existierende Probleme, wegweisende Produkte, eine Vision für eine bessere Welt – oder sind es Versprechen, die dann nicht oder nur halbherzig eingehalten werden?

Die Messe beginnt offiziell an diesem Dienstag, die Veranstalter schieben jedoch zwei Medientage voran. Es weiß keiner so recht, warum das so ist, es beschwert sich aber auch niemand. Wer am Sonntag also Veranstaltungen mit solch herrlichen Namen wie „Living in Digital Times“ besucht oder am Abend die Mini-Vorab-Messe „Unveiled“ mit 150 Ausstellern besucht, der sieht, dass sie wieder knuffige Roboter präsentieren. Oder ein Armband, das über Vibrationen Geräusche an den Finger transportiert und deshalb das Telefonieren mit dem Zeigefinger am Ohr ermöglicht. Oder einen Kurzgeschichten-Generator. Oder wie immer diesen hanebüchenen Haarwuchs-Helm. Schöner und doch schnöder Schnickschnack eben.

Doch je länger man auf der CES unterwegs ist, sich vom laufenden Roboter Kuri beeindrucken oder auch von jungen Frauen bereden lässt, die von Wunder-Spiegeln, persönlichen Bier-Brau-Automaten und dergleichen mehr sprechen, merkt man, dass es gar nicht mehr um dieses einzelne Gerät geht oder diese eine Erfindung – es geht vielmehr um das Vernetzen dieser Einzelteile. „Wir haben nun die Möglichkeit, alles mit allem zu verbinden, damit die Leute effizienter durch den Tag kommen“, sagt Gary Shapiro, Chef des Branchenverbandes CTA. Heißt: Für sich gesehen mögen einzelne Produkte unbedeutend erscheinen, miteinander verbunden jedoch ergeben sie ein stabiles Netz.

Der Siegeszug der Assistenten

Der Wunder-Spiegel hilft nicht nur beim Schminken, er erkennt auch Veränderungen bei Muttermalen und warnt vor Hautkrebs. Verbunden mit einem Smart-Home-Assistenten kann er einem mitteilen: „Heute brennt die Sonne, Du hast im Kalender ein Fußballspiel stehen. Ich würde dafür angesichts der Hautanalyse einen Sonnenblocker der Stärke 50 empfehlen.“ Der Assistent erkennt derweil, dass ein Fenster aufgerissen wurde – es schickt automatisch den Roboter dorthin, der über Gesichtserkennung feststellt, ob da ein Einbrecher am Werk ist oder doch der Wind.

Wer hinfällt (über Tech-Schuhe messbar), kann sich vom selbstfahrenden Auto ins Krankenhaus bringen lassen, während die in der Wohnung begonnene Kurzgeschichte (der Roboter kann vorlesen) nun im Fahrzeug fortgesetzt wird. Die anderen selbstfahrenden Autos – es ist ja alles mit allem vernetzt – wissen Bescheid, dass es da einer aufgrund eines Notfalls eilig hat – und sie lassen einen schneller zum Ziel kommen. Die Ärzte sind ebenfalls informiert und haben natürlich die Krankengeschichte und mögliche Allergien des Patienten schon vorliegen.

Die gigantische Datenmenge, die es für diese Prozesse zu bewältigen gilt, sollen schnelle 5G-Netze ermöglichen (Shapiro: „Es wird die physische mit der digitalen Welt zusammenbringen.“), doch natürlich braucht es wie bei jedem ordentlichen Netz eine Spinne in der Mitte.

Die CES dürfte zum Schlachtfeld zwischen den Sprachassistenten-Herstellern werden: Google hat sich zum ersten Mal seit einigen Jahren wieder einen riesigen Stand gegönnt für seinen Helfer Assistant. Die Firma möchte ihren Marktanteil, der laut Analysefirma Strategy Analytics derzeit bei 25 Prozent liegt, signifikant erhöhen und ein härterer Konkurrent zu Echo von Amazon (derzeit 67 Prozent) werden. Auch Microsoft (mit Cortana), Samsung (Bixby), Apple (HomeKit) und einige chinesische Unternehmen wollen mitmischen. Kleinere Firmen wollen an der Vernetzung mitspinnen und dürften sich entsprechend positionieren.

Es wird darüber zu debattieren sein, inwiefern diese Vernetzung die Privatsphäre des einzelnen noch stärker einschränken wird und wie sich das geplante Ende der Netzneutralität darauf auswirken wird.

Der acht Jahre alte Junge dürfte im Jahr 2048 jedoch zumindest anerkennend nicken, wenn er bemerkt, dass da 30 Jahre zuvor tatsächlich eine Vision einer digitalen Zukunft gezeigt worden ist. Dann wird er zu seinen Freunden fahren. Oder doch schweben? Womöglich auf einem Hoverboard.

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