Lüder Machold legt ihr die Hand auf den schwangeren Bauch und die Konzertkarte auf die Werkbank. „Da solltest du abends hin“, sagt er. „Unser interessanter Solist spielt.“ Julia Pasch sagt: „Du hast recht. Seine Stradivari passt nicht perfekt zu seinem Spiel.“ Sie geht zum Konzert, vorbei an den Sicherheitsleuten, weiter zum besagten Solisten in die Garderobe, erklärt ihm: „Ihre Geige klingt gut. Es geht aber noch besser.“ Die Hallo-hier-bin-ich-Taktik, den Tausch von Arbeitskittel gegen Abendkleid, hat Pasch von Machold gelernt. Sie lädt den Solisten nach Hause ein, in die Richard-Wagner-Villa in Wien, wo der große Meister ein Jahr lang die „Meistersinger“ komponiert hat. Einladungen zu Abendgesellschaften der beiden sind in Wien begehrt. An solch einem Abend wird über Musik, Wein, Fußball und Politik gesprochen. Nie geht es darum, Geigen zu verkaufen. Obwohl es genau darum geht.
Julia Pasch, 31, und Lüder Machold, 36, sind ein besonderes Paar. Sie ist Geigenbauerin, er Geigenhändler. Sie verkauft ihre neuen Pasch-Geigen, er 300-jährige italienische Geigen. Im Leben der beiden dreht sich alles um das Instrument: den perfekten Klang, den nächsten Göttergeiger, das nächste Konzert. Pasch und Machold verbringen fast ihre ganze Zeit miteinander. Das allein ist schon bemerkenswert. Viel spannender aber ist, wie die beiden als Duo funktionieren. Jeder profitiert vom Wissen des anderen. Sie schaffen die perfekte Symbiose, die Kombination aus Handwerk und Glamour, Werkstatt und Laufsteg. So ein Gespann ist im Kosmos der Klassik einzigartig. Das gibt Aufmerksamkeit.
In einer Welt, die nach ihren ganz eigenen Gesetzen funktioniert, mit Figuren, so speziell, wie man sie sonst selten trifft. Wer in dieser Welt atmen, sich bewegen oder Geschäfte machen will, muss wissen, wie diese Gesetze funktionieren. Pasch und Machold tun das. „PM-Unschlagbar“, nennen sie die Freunde. Gemeinsam haben sie Erfolg. Und der entscheidet sich an der berühmtesten Geige der Welt, der Stradivari. Was Antonio Stradivari bis 1737 in Cremona baute, gilt bis heute als unerreicht. Im konservativen Klassikkosmos herrscht ein ungeschriebenes Gesetz: Solisten betreten niemals ohne eine alte, sehr schöne, sehr teuere Geige das Podium. Das Publikum bezahlt niemals nur für die Kunst des Solisten, die Bewunderung gilt immer auch der Violine; ihrer 300-jährigen Geschichte, dem Holz. Das alles ist Teil der Kunst.
Man muss einen Blick ins Atelier von PM-Unschlagbar werfen: Sie, kurzes, braunes Haar, markantes Gesicht, steht in Arbeitskittel und Birkenstock-Sandalen an ihrer Werkbank und schnitzt das Holz. Er, blondes Haar, rundes Gesicht, sitzt in Trachtenjanker und Hemd mit Manschettenknöpfen am Laptop, telefoniert und organisiert die Abendrunde im Ohrensessel. Sie arbeitet nach innen, er nach außen. Ein Geigenbauer darf der Welt den Rücken zuwenden, ein Geigenhändler niemals.
Sein Vater war einst der mächtigste Geigenhändler der Welt. Dann stürzte er ab
Der weiß, dass Sorgfalt und Schönheit sowie Eitelkeit und Schönmalerei die Welt der Kunden bestimmen. Pasch war die Geigenwelt mit ihrem Chichi, den Bussis und dem Smalltalk fremd. Sie kommt aus Aachen, ist die Zweitälteste von fünf Geschwistern, ihre Eltern sind Ärzte und Künstler. Sie sagt: „Ohne Lüder hätte ich nicht so viel so schnell so mutig angepackt.“ Lüder Machold trifft die richtigen Töne und die richtigen Menschen, dazu ist er berufen – wie früher schon sein Vater. Er navigiert „seine Julia“ durch diese Welt.
Der Wettkampf um die Kunden ist hart. Während in anderen alten Handwerkskünsten in Deutschland und Österreich die Letzten ihrer Zunft begraben werden, gibt es von Jahr zu Jahr mehr Geigenbauer. Zählte der Zentralverband des deutschen Handwerks 2007 noch 485, waren es zum Halbjahr 2017 bereits 605. Das Instrument und die klassische Musik erleben eine Renaissance, man hört von einer neuen „goldenen Periode“, wie es sie zuletzt zur Zeit des italienischen Dreigestirns Guarneri del Gesù, Nicola Amati und Antonio Stradivari im 17. und 18. Jahrhundert gegeben hat.
Der Musiker, der es sich leisten kann oder einen zahlungswilligen Sponsor findet, kauft sich eine Geige, die nicht von unzähligen, sondern von zwei Händen hergestellt worden ist; eine besondere Geige eben, halb Handwerk, halb Kunst. Wie die von Julia Pasch.
Vor drei Jahren hat Pasch für eine Geige noch 12 000 Euro verlangt, 2018 ist es mehr als das Doppelte. Bestellt man heute eine Geige bei ihr, kommt man auf die Warteliste in den Winter 2020. Drei Solisten haben für eine Pasch-Geige ihre Stradivari zurück in den Koffer gelegt, sie sagten: „eine Geige, die zu mir passt“, „mit mir wächst“, „neu ist, aber alt klingt“. Eine Stradivari freiwillig gegen eine Pasch eintauschen? Eigentlich der Wahnsinn. Pasch gilt als Meisterin ihres Fachs, durch Handwerkskunst allein schafft das aber keine Geigenbaumeisterin. Diese Brillanz braucht Performance. Für die sorgt Lüder Machold.
Machold. Der Nachname steht für sechs Generationen von Geigenbauern und Geigenhändlern. Lüders Vater Dietmar machte „Machold“ zur Nummer eins, baute einen kleinen Bremer Restaurationsbetrieb zu einem globalen Unternehmen aus, eröffnete Filialen in Tokio, Wien und New York. In den 30 Jahren seines Geschäfts verkaufte er alte Geigen für 250 Millionen Euro. Dann kam der Absturz.
Auf Schloss Eichbüchl bei Wien brachte er dem Sohn aristokratische Kultiviertheit bei. Lüder Machold lernte das Richtige anzuziehen, richtig zu essen und zu trinken. Im Kaminzimmer zitierte der Vater Rilke-Gedichte, im Wald brachte er ihm das Jagen bei und gemeinsam machten sie Spritztouren mit dem Maserati. Das Wichtigste aber sei, „die menschliche Begegnung zu können“, sagte er immer. Der alte Machold machte alle paar Wochen den großen Gatsby und lud zum Fest, in den Salon mit dem Steinway-Flügel. Wer etwas gelten wollte, ließ sich blicken – der Geldadel, die Wirtschaftsbosse, die Unterhaltungskünstler – alle kamen sie. Und Sohn Lüder? Der schaute zu, machte Kontakte und pflegte sie, lernte, dem Kellner und dem Kunstsammler das Gefühl ,Du bist wichtig‘ zu geben. Ein Universitätsdiplom hat er nicht.
Von seinem 18. Geburtstag an war er Kaufmann, arbeitete mit dem Vater und handelte mit den alten Geigen. In der Instrumentenwelt galt ein Gesetz: Ohne Machold keine Stradivari. Bis das Gesetz sich Dietmar Machold holte: wegen Betrugs in Millionenhöhe, 100 Millionen Euro Schulden und 17 verschollenen Millionen-Geigen – das brachte ihm sechseinhalb Jahre Haft ein. Die Machold Rare Violins GmbH war Geschichte. 2007, als es immer mehr Probleme gab, die Anklagen und Anschuldigungen sich häuften, stieg der Sohn nach zehn Jahren Partnerschaft aus. „Ich dachte, das war’s mit den Geigen“, sagt Lüder Machold. „Lebenslange Sippenhaft.“ Was konnte er jetzt noch tun?
2012 kam der Vater ins Gefängnis. Und Lüder Macholds Telefon klingelte wieder. Ob er nicht wisse, wo man diese und jene Stradivari herbekomme. Ob er jemanden kenne, der eine gebrauchen könne. Ob er nicht ein Instrument als Anlage für das 200 000-Euro-Erbe empfehlen könne. Immer wieder sagten die Leute: Er sei ein Machold. Er kenne sich aus.
Das ist nicht gelogen. Wissen bedeutet auf dem Markt der edlen Instrumente Macht. Weltweit gibt es nur eine Handvoll Menschen, die sich auskennen. Lüder Machold hat in seinem Archiv mehr als 20 000 Geigen gelistet – Fotos, Lebensläufe, Zertifikate. Ein Amt für Zentralauskunft gibt es nicht. Er kennt die Musiker, die auf den Instrumenten spielen, die Sammler und Investoren. Und er schweigt, „meine Pflicht.“ Es ist eine geheimniskrämerische Welt, man flüstert viel. Wer was im Tresor oder im Koffer hat, darf oft niemand wissen. „Diskretion ist das Allerwichtigste“, sagt Machold. Nur einer darf es wissen, um es gezielt ganz nebenbei zu streuen. Er.
Aber wieso sollten diese Menschen einem Machold wieder trauen? Ihm zwischen 50 000 und mehrere Millionen Euro in die Hand geben? In dieser Spanne liegt der Verkaufspreis seiner Geigen, davon fallen etwa zehn Prozent für ihn ab, sagt er.
Sie baute vor Publikum eine Geige. Er trank Wein und verteilte Visitenkarten
Das Vertrauen wächst auch, weil Machold eben Julia Pasch hat. Vor Kurzem brachte sie Koloman Karl Maria auf die Welt, jetzt leben sie zu dritt im Wagner-Atelier. Oft begleitet sie Machold zum Kundentermin. Dann erzählt er die Geigengeschichte und Pasch von der „Klangkraft in den tiefen und der Klangsüße in den hohen Tönen“. Danach hört man die Leute von Pasch als „bodenständig“ und „besonnen“ sprechen. Es scheint, als machten sie eine einfache Gleichung im Kopf: gute Frau, guter Einfluss, würdiger Deal. „Entscheidet sich ein gescheiter Mensch für dich, kannst du selbst nicht so verkehrt sein“, sagt ein Geschäftspartner. Er braucht sie, und sie braucht ihn.
Macholds jüngste Idee: Pasch baute eine Geige in der Öffentlichkeit. Jeder Interessierte sollte dabei zusehen können, wie aus einem Stück Holz ein Instrument wird. Nicht irgendwann – sondern während der sechs Sommerwochen der Salzburger Festspiele 2017. Wenn die weltbesten Musiker auf ihr Publikum treffen, das mit Geschmack glänzen, sich im Stil unterscheiden und das Besondere auch teuer bezahlen will. Nicht irgendwo sollte sie bauen – sondern in Rudolf Budjas Kunstgalerie, dem „Wohnzimmer der Festspiele“. Dort, wo sich Künstler, Sammler und Unternehmer treffen, zogen die zwei mit der Werkbank und Taschen voller Hobel und Messer ein.
Pasch schnitzte die Geigendecke aus einem Dachbalken der Münchner Frauenkirche, der von der Restaurierung übrig war. 500 Euro hatte sie für die 40 Zentimeter der 500 Jahre alten Fichte bezahlt, „ein tolles Glück“. Den Tipp hatten sie von einem Holzhändler aus Mittenwald bekommen. „Die Decke entscheidet, wie charmant die Geige klingt“, erklärte Pasch den Galeriebesuchern. Die groben Stücke stach sie mit dem Stecheisen ab; die Feinarbeit erledigte sie mit dem Wölbungshobel, der aussieht wie ein Babyschuh in Miniatur und das Holz beim Querziehen wie Engelslocken zu Boden regnen lässt. Und Machold? Der verteilte Visitenkarten, trank Wein mit den Zuschauern und hörte zu, wer welches Instrument sucht oder loswerden will.
Über Geld spricht man nicht, sagt der Mann im froschgrünen Jackett. Er hat genug davon
Da war zum Beispiel der Mäzen, der mit 18 Jahren nach der Kfz-Mechanikerlehre aus der Grazer Provinz nach New York gegangen ist und mit Grafiken von Warhol und Lichtenstein wiederkam. Dieser Mut habe ihn reich gemacht, erzählte er in der Galerie. Da war der Mann, der sich mit weißem Hut, Spazierstock und froschgrünem Jackett als „mailändischer Perser“ vorstellte. Sein Hund bekomme im Salon gerade das Fell frisiert und die Nägel gefeilt, aber „Please, keep things quietly“, sagte er – über Geld spricht man nicht. Da war der Münchner Kaufmann, der sich auskennt mit Verkäufen dieser Art: „Hab‘ das, was alle wollen, und wenn es niemand will, verdopple einfach den Preis.“
Als die Festspiele vorbei waren und Julia Pasch 200 Arbeitsstunden geleistet hatte, wurde die Geige versteigert. Eine Fünf-Liter-Flasche Château Mouton Rothschild, Jahrgang 1981, einer der besten Weine der Welt, stand geöffnet auf dem Eichenholztisch. 2000 Euro kostet die, aber das ist nicht das Wichtigste. Wichtig ist zu wissen, wer diese Rarität liefern kann. Lüder Machold weiß vieles, und natürlich kennt er sich auch mit gutem Wein aus. Der Geigenhändler plauderte im maßgeschneiderten blau-rot-karierten Anzug und rahmengenähten Kalbslederschuhen bei Champagner an der Bar. Zur Versteigerung von „Julias Festspiel-Geige“ sei der Rothschild genau das Richtige, sagte einer der 20 geladenen Gäste. Drei von ihnen boten im Saal mit, drei hingen am Telefon. Sie riefen aus Hamburg, Miami und der Steiermark an. „48100 Euro – tut dem Helmut nicht weh“, sagte der Auktionator. Helmut ist der Sieger vom Telefon aus der Steiermark, der gerne anonym bleiben möchte. So wie die meisten im Klassikkosmos.
„Diskretion ist das Wichtigste in diesem Geschäft“, sagt Machold. Mit der Geige musizieren wird Helmut nicht. Für ihn ist das Instrument eine Geldanlage unter vielen, inzwischen spielt es ein bekannter russischer Solist in Wien.
Genau das möchte Pasch: Ihre Geige soll klingen, sie soll leben. Sie baut ganz für die Bedürfnisse des Solisten. Der soll „Ich spiele auf einer Pasch“ genauso stolz sagen wie „Ich spiele auf einer Strad“. Bei ihrer Arbeit verlässt sie sich nicht nur auf ihr Gefühl, sondern auch auf „ihren Lüder“. Überhaupt, so richtig nach Arbeit sieht es bei ihm erst dann aus, wenn er für Pasch arbeitet. Wenn er mit ihr die Politur für das Geigenholz anrührt oder wenn die zwei „Klangarbeit“ machen, dann geigt und schraubt Pasch so lange an Steg und Stimmstock herum, bis beide davon überzeugt sind, ein Meisterwerk geschaffen zu haben, zuletzt sagte er: „Unvorstellbar, dass ihm das nicht gefällt.“
Er meint den slowakischen Solisten Dalibor Karvay, für ihn hat Pasch ein Instrument angefertigt. Machold machte die zwei bekannt. Mit keiner Stradivari wurde der 32-jährige Musiker richtig glücklich: Die hohen Saiten dürften „nicht schreien“ und „nicht scharf klingen“. Die tiefen müssten „ausreichend Farbe und Präsenz“ haben, und einen Riesenresonanzraum brauche er natürlich auch noch. Nach dem Konzert mit der Pasch-Geige kamen die Leute aus dem Publikum dann zu ihm auf die Bühne und schwärmten von diesem unverwechselbaren Klang seiner Stradivari, sagten: „atemberaubend, das 300 Jahre alte Holz, ein Original“.
Auch klassische Musik ist eben manchmal eine schöne Illusion.