Angst vorm Fliesen (SZ v. 04.01.2018)

Man hatte schon sehnsüchtig vor der Tür gewartet, mit erwartungsfroh nervösem Blick, nämlich abwechselnd auf die Uhr und auf den Horizont im Münchner Osten. Als aber das Auto endlich in die Welt der kleinen Eigenheime einbiegt, ist es doch kein ferrariroter Ferrari, sondern ein gediegen grauer SUV. Der allerdings auch seinen stolzen Preis pro Tonne Distinktion haben dürfte.

In einem Punkt ist der befreundete Architekt mit mannigfachen Beziehungen ins gehobene Bauhandwerk also schon mal widerlegt. Er meinte: „Erstens, du kriegst eh keinen Fliesenleger zurzeit. Alle ausgebucht. Der Bauboom ist krass. Zweitens, wenn er aber doch kommt, dann sei gewarnt, dann kommt er im Ferrari.“ Mit anderen Worten: Rechne, was den Kostenvoranschlag für Fliesenarbeiten in zwei Miniatur-Bädern angeht, mit dem Schlimmsten und verdopple die Summe, dann bist du etwa bei der Hälfte dessen, was dich erwartet. Plus Mehrwertsteuer. Vorbehaltlich etwaiger „Zusatzleistungen“.

Man hofft also, dass der seherische Architekt auch in diesem Punkt zu widerlegen wäre. Bald kommt der Kostenvoranschlag – und die Hoffnung verröchelt. Zwei Bäder, in denen Fliesen auf insgesamt nur 24 Boden- und Wand-Quadratmetern zu verlegen sind, sollen 20 803,10 Euro kosten. Im Baumarkt kostet ein Quadratmeter Feinsteinzeug („Street Grau“) etwa neun Euro je Quadratmeter. Fachmännisch verlegt behauptet die gleiche Fläche nun also tatsächlich eine Art Ferrari-Preis: rund 900 Euro je Quadratmeter.

Handwerker sind teuer und haben lange Wartezeiten. Für sie war 2017 ein Rekordjahr.

Der Fliesenleger, er heißt Markus Reicher und ist eigentlich Unternehmer, nämlich Spross der in München alteingesessenen und zu Recht höchst angesehenen Firma Reicher („Wir sind stolz, nun die dritte Generation unserer Familie zu sein, denen unsere Kunden die Verwirklichung ihrer Wohnträume anvertrauen“), verwechselt einen womöglich mit Tebartz-van Elst. Das ist der Ex-Bischof von Limburg. Er wurde vom Papst seinerzeit nicht nur wegen des Millionen-Skandalons einer überteuerten Bischofsresidenz abberufen, sondern auch wegen eines teuflisch luxuriös gestalteten Badezimmers. Mit freistehender Badewanne. Die Bäder, um die es in der Münchner Stadtrandlage geht, sind allerdings viel zu klein für eine solche Form der Wellness-Apotheose im Nassbereich.

Zur Sicherheit ruft man nun (es ist tatsächlich schon einige Monate her, die Kosten dürften inzwischen deutlich höher sein) den Fliesenleger-Tycoon Reicher an und fragt, ob man seinen staunenswerten Kostenvoranschlag denn auch veröffentlichen dürfe. Er sagt souverän: „Nur zu. Gutes Handwerk hat seinen Preis.“ Dem will man ja auch gar nicht widersprechen. So grundsätzlich. Schließlich ist man auch selbst kein Freund der Geiz-ist-geil-Mentalität. Allerdings ist man auch kein Kirchenfürst. Letztlich einigte man sich nicht auf Fliesenarbeiten, deren surreal anmutende Kosten man im Bereich des Vergoldens wähnt. Nicht im Reich des Verfugens.

Fliesenleger, Installateure, Schreiner, Elektriker, Trockenbauer, Betonierer . . . aber auch Architekten oder Baufirmen: Sie alle profitieren seit Jahren, mittlerweile aber drastisch überschießend von einer Entwicklung, die einzigartig ist. Und auch wenn die Branchensprecher darauf hinweisen, dass der Boom, der sich niedrigen Zinsen, der Konjunktur und den Wohnungsbauprogrammen verdankt, „nur vereinzelt“ zu enormen Preissteigerungen geführt habe (also etwa bei der Elbphilharmonie in Hamburg und bei einem persönlichen Fliesen-Projekt in München-Waldtrudering), so ist doch anzunehmen: Noch nie war das Bauen so teuer.

Wenn es sich denn überhaupt ereignet, denn tatsächlich sind die Wartelisten der Handwerker lang. „Das Handwerk blickt auf ein Rekordjahr zurück“, heißt es im jüngsten Konjunkturbericht des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Und der Konjunktur-Referent beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Karl Brenke, meint: „Die Auftragsbücher werden immer dicker, das liegt vor allem am wachsenden Sanierungs- und Wohnungsbedarf.“ Man darf ergänzen, dass lange Wartezeiten – im Schnitt rund zweieinhalb Monate – auch zu tun haben mit einem Mangel an Nachwuchskräften am Bau.

Das Geschäftsklima ist so gut wie nie. Es brummt regelrecht vor Wonne. In den Städten tanzen die Kräne ein Ballett im Himmel, und die Betonmischer jubilieren. Die Handwerker suchen sich ihre Aufträge aus, die Architekturbüros werben sich gegenseitig Leute ab – nur die Bauämter tragen Trauer. Sie haben zu tun wie selten zuvor und kommen nicht hinterher mit den Baugenehmigungen.

Häuser, die in nur vier Tagen von vier Bauarbeitern errichtet werden

Im Netz freut man sich in den üblichen Kommentarbereichen schon etwas hämisch über die Vision, wonach all die kommenden Akademiker der bildungsbeflissenen Theorie-Gegenwart in Zukunft die immer seltener werdenden Handwerker der Praxis nicht mehr bezahlen können. Da ist durchaus etwas dran. Dass es aber der Branche insgesamt gut geht, am Bau zumal, also im letzten großen Reich, das sich der Industrialisierung bislang erwehren konnte, ist prinzipiell ja auch ganz schön. Andererseits könnte aber auch Peter Ebner recht haben.

Dann stünde das Ende der Party am Bau ausgerechnet jetzt vor der Tür, da sie sich auf ihrem eigentlichen Höhepunkt befindet. Es ist eine paradoxe und bemerkenswerte Situation. Ebner, ein 49-jähriger Österreicher, der in Harvard und in Los Angeles gelehrt hat, der in München ein Architekturbüro betreibt und als Forscher, Fantast und Futurist immer mal wieder die Szene aufmischt, ist nicht nur derjenige, der vor einigen Jahren das weltweite erste Haus komplett aus dem 3-D-Drucker in Deutschland realisiert (und somit Google in diesem Wettrennen abgehängt) hat – er war auch Teilnehmer des deutschen Expertengremiums „Zukunft Bau“. Er sagt: „Die Nostalgie des Bauhandwerks geht ihrem sicheren Ende entgegen, denn die Industrialisierung und Automatisation des Bauens ist nicht mehr aufzuhalten. Das ist auch gut so. Die dazu nötigen Technologien gibt es längst – in China, Japan oder den USA kommen sie immer öfter zum Einsatz. Nur Deutschland verschläft gerade diese einmalige Chance, das Bauen neu und besser zu erfinden.“

Sterben die Fliesenleger also bald aus? Ebner: „Wie Dinosaurier. Häuser werden in Zukunft rein maschinell errichtet. Das Bauen wird billiger, die Produktionsbedingungen verändern sich komplett. Es ist eine Revolution. Wenn man sie nicht verschläft.“ Ebner zufolge wird das Bauen 2.0 den Entwurfsprozess befördern: „Das Nachdenken über das Bauen, das man will, wird wichtiger als die Beschäftigung mit dem Bauen, das man kann. Gut so!“

Was aber auch noch nicht heißt, dass die Revolte letztendlich gut oder schlecht ist für die Baukultur – ganz abgesehen von der Frage nach den Arbeitsplätzen. Das Baugewerbe gehört nach Produktion und Beschäftigung noch vor Industriebereichen wie dem Fahrzeugbau zu den nationalen Schlüsselbranchen. Und auch die Fliesenleger haben ein Recht auf Zukunft.

Wahr ist aber auch, dass etwa das französische „Pop up“-Haus (Entwurf: Multipod Studio), also 150 Quadratmeter Wohnfläche, Passiv-Standard, in nur vier Tagen von nur vier Bauarbeitern zusammengeschraubt werden kann. Noch schneller ist das „Haus, das sich selbst aufbaut“. Es stammt von der südenglischen Firma Ten Fold und funktioniert im Prinzip wie ein Teleskop-Wäscheständer. Das Basismodell kostet 110 000 Euro, also umgerechnet etwa fünfeinhalb Münchner Fliesenleger-Arbeiten. Und das Unternehmen Apis Cor mit Sitz in Moskau und San Francisco hat erst im vergangenen Jahr ein Betonhaus inklusive Isolierung, Fenster, Türen, Boden und Außenanstrich innerhalb von 24 Stunden realisiert. Mit einem 3-D-Drucker, der das kreisförmige Haus aus Spezialbeton „geplottet“ hat. Kosten: 10 134 US-Dollar, umgerechnet gut 8000 Euro.

Sind die meisten „Unikate“ von heute so viel origineller als Häuser aus dem 3-D-Drucker?

Die Revolte, die sich da ankündigt und die zunächst eine des Preises wäre, ist das vorläufige Ende eines alten Moderne-Traumes. Spätestens seit dem Buster-Keaton-Film „One Week“ aus dem Jahr 1920 (in dem sich der große Komiker ein Fertighaus auf sehr absurd-unglückliche Weise in nur einer Woche zusammenschraubt als Traum vom Glück, an dem man nur scheitern kann), vollenden Modulbau und Vorfertigung, bald aber auch Bau-Robotik und nun 3-D-Technologie die Sehnsucht nach Häusern, die keine Handwerkskunst repräsentieren, sondern die rein industriell hergestellt werden. Ebner: „Ein Haus soll sein wie ein Auto. Ein perfektes, wartungsarmes Produkt – gerne von der Stange. Langlebig, preiswert, mobil im Idealfall, individuell ausstattbar. Alles andere ist doch Nostalgie.“

Das ist natürlich auch ein gezielter Affront in die Richtung jener Architekturgilden, die ihrem Verständnis von Baukultur folgend auf dem Haus als Unikat und Baukunsteinzigartigkeit bestehen. Auch diese Sichtweise ist legitim. Selbst wenn man mit Blick auf die austauschbare Schuhschachteltristesse vor beinahe jedem deutschen Fenster fragen könnte: Banale Häuser von der Stange in serieller Billigstbauweise, gibt es das nicht schon längst? Fast. Nur dass sie halt sehr teuer sind, die Wohnregale und Schachtelschäbigkeiten, die man „zeitgenössisches Bauen“ nennt.

Insofern wäre ein bisschen mehr Futurismus auf der einen und zugleich etwas mehr echtes Traditionsbewusstsein auf der anderen Seite gleichermaßen wünschenswert. Man kennt übrigens das Phänomen, das auf das Bauen zukommt: industrielle Masse hier und „Es gibt sie noch, die guten Häuser“-Exotismen dort. Das Ganze heißt Manufactum.

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