Der Kurs der virtuellen Währung Bitcoin kennt derzeit nur einen Weg: steil nach oben. Die Entwicklung ruft weltweit Spekulanten auf den Plan. Wann endet die Euphorie?
Während die Bäume gerade ihre letzten Blätter verlieren, denken an den Finanzmärkten viele an Frühlingsblumen. Sie erinnern sich an die Zeit im 17. Jahrhundert, als niederländische Bürger wie im Wahn Tulpenzwiebeln kauften und mit ihnen spekulierten. Sie hofften auf riesige Profite, wenn sie die Pflanzen später weiterverkaufen würden. Das klappte anfangs, es machte viele Leute binnen kurzer Zeit unfassbar reich. Tulpen kosteten so viel wie ein Haus. Dann, recht plötzlich, kollabierte der Markt.
Die Tulpenmanie gilt als bekannteste Spekulationsblase der Wirtschaftsgeschichte. Die Parallelen zu dem, was in diesen Tagen auf dem Markt für die Kryptowährung Bitcoin geschieht, sind unverkennbar. „Bitcoin ist die Tulpenzwiebel der Finanzmärkte im 21. Jahrhundert“, sagt etwa Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka-Bank. Ein Vergleich, den im September schon EZB-Vizedirektor Vítor Constâncio gezogen hatte. Vor zwei Monaten bekam man für eine Einheit Bitcoin allerdings noch weniger als 5000 Dollar.
Am Dienstag war es mehr als das Doppelte; erstmals hat der Bitcoin-Kurs auf einigen Handelsplätzen die Marke von 10 000 Dollar geknackt. Eine Verzehnfachung seit Jahresbeginn.
Viele haben ihr Urteil längst gefällt und sind sich sicher: Das ist eine irre Spekulationsblase, ein Paradebeispiel für eine Übertreibung. Fest steht, dass rund um den Globus eine ungeahnte Euphorie um die digitalen Währungen entstanden ist, in den USA, in China, in den aufstrebenden Volkswirtschaften Ostasiens und zuletzt auch in Europa. Inzwischen gibt es mehr als 100 Digitalwährungen, die an das Bitcoin-Vorbild angelehnt sind, und damit ebenso viele mögliche Spekulationsobjekte. Einige der Kursverläufe stehen bereits sinnbildlich für den Traum vom schnellen Reichtum.
Bitcoin ist das älteste und mit einigem Abstand größte dieser jungen virtuellen Währungssysteme. Sie kommen ohne Münzen und Scheine aus und ohne Zwischenstellen wie Banken oder Kreditkartenkonzerne, die Zahlungen bestätigen und ausführen. Jede einzelne Transaktion wird von einem Rechnernetzwerk in einer Art Logbuch gespeichert, der sogenannten Blockchain, die für jeden öffentlich einsehbar ist, als manipulationssicher gilt und stetig fortgeschrieben wird – die Identität der Nutzer bleibt geheim. Weil dazu Verschlüsselungsverfahren eingesetzt werden, hat sich für die Systeme auch der Begriff Kryptowährungen etabliert.
Mit ihnen war von Beginn an die Hoffnung verbunden, das Freiheitsversprechen des Bargelds in der Computer-Ära zu retten. Zugleich untergraben die Systeme die Kontrolle staatlicher Autoritäten darüber, was Geld sein darf – denn noch gibt es zwar mahnende Worte von Notenbankern und Aufsichtsbeamten, aber keinerlei Regulierung, die über die Regeln der jeweiligen Währungssysteme hinausgeht. Die Notenbanken beobachten den Markt deshalb genau, experimentieren selbst oder kündigen wie beispielsweise in Schweden oder in Russland an, eigene Kryptowährungen zu entwickeln. Noch sind sie bloß aufmerksam bis misstrauisch.
Denn als Geldersatz fristen die Kryptowährungen ein Nischendasein. Bisweilen findet man zwar auch in Deutschland ein paar Online-Shops oder Cafés, die Bitcoins als Zahlungsmittel akzeptieren. Es gibt weltweit etwa 1900 Geldautomaten, an denen Anleger den Gegenwert ihrer Bitcoins in bar abheben können. Migranten nutzen die Möglichkeit, Bitcoins direkt an andere Nutzer zu überweisen, um Geld in die Heimat zu schicken. So vermeiden sie die hohen Gebühren der Banken und entziehen sich der Kontrolle der Behörden.
Aber all das ist noch überschaubar – und wird es zumindest im Fall von Bitcoin auch bleiben: Das System ist zu langsam, um eine sehr große Zahl an Transaktionen abzuwickeln. Jede Überweisung wird in sogenannten Blöcken gespeichert, die jeweils eine Vielzahl von Transaktionen bündeln. Ist ein Block voll, bauen Computer den nächsten, indem sie komplexe Rechenaufgaben lösen. Das dauert pro Block mehrere Minuten. Je mehr Menschen Bitcoin als Zahlungsmittel nutzen, desto länger dauern Überweisungen. Anders als Euro, Dollar oder Yen können die virtuellen Münzen zudem nicht unbegrenzt vermehrt werden – bei einer Menge von knapp 21 Millionen Bitcoins ist Schluss. Diese Aussicht auf Knappheit macht die Anleger anscheinend ganz wild. Wenn die Nachfrage steigt, müsse der Preis logischerweise auch steigen.
Mit ihrem exponentiellen Kursverlauf sind Bitcoins also vor allem für Spekulanten eine Verheißung. Endlich locken mal wieder Traumrenditen in einer Welt der Nullzinsen und heißgelaufenen Aktienmärkte. Bislang konnte man die digitale Währung lediglich auf kleinen Plattformen im Internet handeln, und wenn die chinesischen Behörden mal wieder – wie schon häufiger in diesem Jahr – eine dieser Plattformen schlossen, dann waren zwischenzeitliche Kursstürze programmiert.
Umso stärker aber reagiert der Kurs derzeit auf gute Nachrichten: Am Dienstag hatte der Börsenbetreiber CME aus Chicago, weltweit größter Handelsplatz für Termingeschäfte, sogenannte Bitcoin-Futures angekündigt. Damit kann bald auch die Wall Street auf steigende und fallende Preise wetten. Sodann vermeldete die größte südkoreanische Bank Shinhan, eine eigene Bitcoin-Plattform aufzubauen. Die Kryptowährung kommt im Mainstream der globalen Finanzmärkte an, so erschien es, die 10 000-Dollar-Marke war erreicht.
Und der Kursverlauf lässt vermuten, dass die Welt Zeuge der ersten populären Spekulationsblase des digitalen Zeitalters wird, die einen globalen Charakter hat. Dem Vergleich mit der lokal begrenzten Tulpenmanie tut das keinen Abbruch: Ein wesentliches Merkmal ist auch diesmal, dass die Euphorie irgendwann enden wird.